70 D F B - A K T U E L L E M - S P E Z I A L | 2 0 2 1 U N S E R G E G N E R 2_Die Bruchweg-Boys rockten in der Saison 2010/2011 die Liga (von links): André Schürrle an der Gitarre, Ádám Szalai am Schlagzeug und Lewis Holtby am Mikrofon. der bei der WM 2018 kein Tor gemacht hat, der aber unfassbar wichtig für die Mannschaft war. Jemand, der immer wieder Gegenspie- ler gebunden hat, der seinen Körper reinge- schmissen hat, der in der Box zwei Gegen- spieler auf sich gezogen hat, damit der Mitspieler frei zum Abschluss kommt. Fuß- ball ist viel komplexer als das, was sich in den Statistiken ablesen lässt. Ádám ist dafür ein gutes Beispiel. Manchmal werde ich gefragt, ob ich mir vor- stellen kann, einen ähnlichen Weg zu neh- men wie er und nach Mainz zurückzukehren. Die ehrliche Antwort ist: Ja, das kann ich. Bei den Blackburn Rovers habe ich wertvolle Erfahrungen gesammelt. Die zweite Liga in England ist eine sehr physische, weicher hat mich diese Schule nicht gemacht. Aber die Art des Fußballs ist für mich nicht maßge- schneidert. Ich schaue daher durchaus nach Deutschland und ich würde lügen, wenn ich sagen würde, dass Mainz dabei keine Option wäre. Die mögliche „Wiedervereinigung“ mit Ádám wäre dabei ein Zusatz, ein Bonus. Wobei wir hier im Konjunktiv reden, es gibt in Deutschland nicht nur Mainz, sondern diverse andere Projekte, die mich reizen würden. Jetzt aber steht die EM im Fokus. Wenn Deutschland gegen Ungarn spielt, werde ich natürlich auch auf Ádám achten. Und das sollten unsere Innenverteidiger auch. Er bringt noch immer viel mit, er ist ein guter Wandspieler, ist jemand, der die nachrücken- den Mittelfeldspieler in Szene setzen kann. Er bewegt sich clever zwischen den Räumen, zwischen den Innenverteidigern und kann ein ständiger Unruheherd sein. Ádám kann ins Pressing gehen, dabei macht er schlaue Wege, er läuft geschickt an, „lenkt“ damit den Spielaufbau des Gegners. Ich gönne ihm immer und überall jeden Erfolg – nur heute nicht. Heute ruht die Freundschaft, heute sind meine Daumen fest gedrückt für unsere deutsche Mannschaft. Danach kann Ádám gerne wieder so treffen und spielen wie zu unserer gemeinsamen Zeit in Mainz. T E X T Lewis Holtby F O T O S (1) imago/Newspix, (2) Picture Alliance/ firo sportphoto 2 paar Schlüsselmomente – und jeweils war Ádám beteiligt. In Wolfsburg haben wir 0:3 zurückgelegen und das Spiel noch 4:3 gewonnen. Den Siegtreffer erzielte, richtig, Ádám. Unvergessen ist natürlich unser 2:1- Sieg in München, und wieder war es Ádám, der das Spiel mit seinem Tor entschied. Am Ende der Saison wurden wir sensationell Fünfter, bis heute bin ich aber der Überzeu- gung, dass noch mehr drin gewesen wäre, wenn sich Ádám nicht so schlimm verletzt hätte. Kurz nach Beginn der Rückrunde zog er sich einen Kreuzbandriss zu, der so schlimm war, dass die Fortsetzung seiner Karriere auf dem Spiel stand. Ohne ihn haben seine Tore und Vorlagen gefehlt, auch seine Art, Gegenspieler zu binden, Räume zu schaf- fen und Laufwege zu machen. Gefehlt hat auch seine positive Art, seine Ausstrahlung auf dem Platz und in der Kabine. Ich habe noch deutlich vor Augen, wie niedergeschla- gen er in dieser Zeit war. Schü und ich haben versucht, ihm so gut es geht, zu helfen, aber die Zeit des Fliegens war mit seiner Verlet- zung vorbei. Wir hatten nur dieses eine Jahr in Mainz – für mich ist Ádám dennoch bis heute ein Freund geblieben. Wir sehen uns nicht häufig, aber wenn wir uns sehen, ist es immer toll. Wir haben eine gute Zeit, lachen viel, erinnern uns an früher und machen unsere Späße. Es ist dann fast wie früher, wir sind wieder Kindsköpfe, die fliegen können. Naja, ein bisschen. Ich glaube, dass in den vergangenen Mona- ten in Mainz gut zu sehen war, was für ein überragender Typ er ist. Nicht durch sein Verhalten, sondern dadurch, wie sehr sich seine Mitspieler für ihn eingesetzt haben, als er suspendiert war. Dieser Vorgang zeigt, was für ein Spieler und was für ein Mensch er ist. Wenn er auf dem Platz steht, gibt er alles, er haut seinen riesigen Körper rein, ist immer da. Das ist Ádám: Er kann spaßig, er kann ernst, er ist ein Top-Spieler, ein super Mannschafts-Spieler. Meine Einschätzung ist, dass seine Rückkehr nach Mainz ganz entscheidend für das Wunder war, dass sich in der vergangenen Rückrunde dort zuge- tragen hat. In Mainz war das Mainzer-Gen abhandengekommen, mit Christian Heidel, Martin Schmidt und Bo Svensson wurde es wiederentdeckt. Und auf den Platz getragen wurde es von Ádám Szalai. E I N E R W I E G I R O U D Wer nur auf das Offensichtliche blickt, kann dies nicht erkennen. Ádám hat nicht viele Tore gemacht und nicht viele Tore vorberei- tet. Aber dieser Blick ist viel zu eng. Oft wer- den die Leute, die die richtigen Laufwege im richtigen Moment anziehen, die wichtige Kopfballduelle gewinnen, die den Ball fest- machen, die einen Konter unterbinden, die den vorvorletzten Pass spielen, nicht so wert- geschätzt. Ich finde: Ádám kann man mit dem Franzosen Olivier Giroud vergleichen,